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Herausforderungen

Planetare Belastbarkeitsgrenzen und Landwirtschaft

Die Umwelt und ihre Prozesse waren in den vergangenen 10.000 Jahren relativ stabil. Dieses Zeitalter wird auch als Holozän beschrieben. Seit der industriellen Revolution gilt der Mensch allerdings als eine der größten Einflussgrößen auf die Umwelt. Einige Wissenschaftler*innen sprechen daher nun vom Zeitalter des Anthropozäns.

Was sind planetare Belastbarkeitsgrenzen?

Menschliche Aktivitäten, wie die Verbrennung fossiler Rohstoffe und die industrielle Landwirtschaft, treiben unsere Ökosysteme zunehmend an sogenannte planetare Belastungsgrenzen. Bei Überschreitung dieser Grenzen wird der erwähnte stabile Zustand unserer Umwelt gefährdet und es kann zu sprunghaften Veränderungen der Ökosystemleistungen (z. B. Klimaregulierung, Bodenqualität, Wasserqualität und Biodiversität) kommen. Werden die Belastungsgrenzen unseres Planeten zunehmend überschritten, haben wir die Kontrolle über den Zustand der Ökosysteme nicht mehr in der Hand. Die Auswirkungen wären dramatisch und gefährden die Lebensgrundlage der Menschheit. Ein zerstörtes Ökosystem ist unwiederbringlich verloren.

Das Modell der planetaren Belastbarkeitsgrenzen nach Rockström et al. definiert neun Bereiche, in denen durch menschliche Aktivitäten solche sprunghaften Veränderungen und unumkehrbare Schäden an der Umwelt auftreten können.

Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen:

  • Klimawandel
  • Neue Substanzen und modifizierte Lebensformen
  • Ozonverlust in der Stratosphäre
  • Aerosolgehalt der Atmosphäre
  • Versauerung der Meere
  • Biogeochemische Flüsse
  • Süßwassernutzung
  • Landnutzungswandel
  • Intaktheit der Biosphäre

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft dabei?

Die Landwirtschaft ist naturgemäß auf eine intakte Umwelt angewiesen. Gleichzeitig hat sie einen erheblichen Einfluss auf den Zustand vieler Faktoren, die zum Erreichen der planetaren Belastbarkeitsgrenzen beitragen. Wie im Kapitel „Landwirtschaft und Klimawandel“ ebenfalls beschrieben wird, hat die Landwirtschaft einen Anteil von 24 Prozent an den weltweiten Treibhausgasemissionen, also auch einen entsprechend hohen Anteil an der Ausreizung der planetaren Belastungsgrenze „Klimawandel“. Weitere, durch die konventionelle Landwirtschaft stark beeinflusste Bereiche der Belastbarkeitsgrenzen sind biogeochemische Flüsse (durch Überdüngung mit Phosphor und Stickstoff), die Süßwassernutzung (durch Bewässerung), der Landnutzungswandel (durch Abholzung) und die Intaktheit der Biosphäre (durch Veränderung des Lebensraums einiger Arten).

Eine Veränderung der konventionellen Landwirtschaft, zum Beispiel durch eine Reduktion der Tierhaltung und die Senkung des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes, trägt also in großem Maße dazu bei, dass planetare Belastbarkeitsgrenzen eingehalten und unser Planet vor dem Erreichen von Kipppunkten bewahrt wird.1



1 Rockström et al. 2009, Berndt und Kuhlemann 2017, Dasgupta Review 2021 

Herausforderungen

Klimawandel

Die Art und Weise, wie in Deutschland die Ernährung organisiert wird – von der Saatgut- und Düngemittelherstellung, über den Anbau, die Verarbeitung und Vermarktung bis zum Konsum und zur Entsorgung von Lebensmitteln – hat enorme Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Landwirtschaft in Deutschland ist verantwortlich für

60 Prozent des gesamten Methanausstoßes und
80 Prozent des gesamten Lachgasausstoßes.

Insgesamt werden 24 Prozent der globalen Treibhausgase durch die Landwirtschaft verursacht.

Methan und Lachgas sind auch in geringen Mengen höchst klimaschädlich. Methan hat ein CO2-Äquivalent von 25. Das bedeutet, dass es etwa 25-mal so klimaschädlich ist wie CO2. Lachgas weist sogar ein CO2-Äquivalent von knapp 300 auf.1 Mit über 60 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr (ca. 8 Prozent) trägt die Landwirtschaft einen substantiellen Anteil an den Treibhausgasemissionen in Deutschland. Das entspricht in etwa den Treibhausgasemissionen von Irland!

Das Thema „Landwirtschaft und Klimawandel“ aber auf die alleinige Verursacherperspektive zu beschränken wäre fatal und ist Grund für Proteste von Landwirt*innen gegen pauschale Schuldzuweisungen.

Klimawandel

1. Landwirtschaft ohne Emissionen ist nicht möglich

Landwirtschaft, insbesondere Tierhaltung, ohne Emissionen ist nicht möglich, da immer Emissionen durch die natürlichen Verdauungsprozesse der Tiere entstehen. Mit dem Abernten von Feldern und der Abholzung von Bäumen sind Emissionen verbunden, die nicht vermeidbar sind. Diese Erkenntnis soll keinesfalls die Diskussion um den Beitrag der Landwirtschaft zum Klimaschutz kleinreden, sondern Akzeptanz dafür schaffen, dass Nullemissionen in diesem Sektor nicht möglich sind. Schonende Bewirtschaftung von Böden ohne Pflügen, Investitionen in Humusaufbau, ein deutlich verringertes Ausbringen von Düngemitteln, kein Abholzen von Wäldern für den Anbau von Futtermitteln oder für die Bildung von Monokulturen und ein Trendwechsel in der Ernährung von fleischlastig zu fleischarm, können die Emissionen des Sektors stark senken. Schnell sehen wir: Nicht nur die Landwirtschaft muss sich wandeln. Die Verbrauchermacht ist immens und muss durch geeignete politische Anreize gefördert werden.

Klimawandel

2. Keine andere Branche ist so direkt von den Folgen des Klimawandels betroffen

Wetterextreme, wie Starkregenereignisse, aber auch Dürren werden in Zukunft zunehmen. Dies führt regional beispielsweise zu Ernteausfällen. Durch die erhöhten Temperaturen haben die Pflanzen außerdem einen erhöhten Wasserbedarf, welcher aufgrund des geringeren Niederschlags im Sommer nicht gedeckt werden kann. Aber auch (neue) Schädlinge können bei diesen Bedingungen besser überleben und stellen für die Pflanzen unter Trockenstress eine größere Gefahr dar. Schon geringe Veränderungen der Dauer der jeweiligen Jahreszeiten verändern den Lebensrhythmus der Pflanzen.2

Die überlebensentscheidende Herausforderung der landwirtschaftlichen Betriebe liegt in der Anpassung an den Klimawandel. Welche Kulturpflanzen überleben Hitze- und Dürreperioden? Wie kann die Bewirtschaftung an sich verändernde Jahreszeiten angepasst werden? Wie kann die Landwirtschaft auf invasive gebietsfremde Arten reagieren? Welche Nutzpflanzen sind widerstandsfähig gegen Trockenheit und Extremwetterereignisse? Wie kann die Landwirtschaft insbesondere in trockenen Sommern mit einem sinkenden Grundwasserspiegel arbeiten? All das sind nicht nur Fragen, um das Überleben von Betrieben zu sichern, sondern um unser Landwirtschaftsbild zu wahren. All das sind Fragen, die sich die Landwirtschaft stellt und verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. Kaum ein Thema sorgt für mehr Unsicherheit in der Zukunft der Landwirtschaft, wie die Klimaanpassung.


Klimawandel

3. Landwirt*innen als Klimaschützer*innen

Gleichzeitig leisten Landwirt*innen mit der Pflege von Feldern und Wiesen einen wertvollen Beitrag, um die natürlichen CO2-Speicherkapazitäten der Natur auszubauen und zu nutzen. Schließlich speichern schonend bewirtschaftete Böden und Wiesen CO2 durch Humusaufbau. Sogar durch Beweidung durch Huftiere wird etwas für das Klima getan: Die Huftritte rückverfestigen den Boden und verhindern eine unkontrollierte Nährstofffreisetzung, die dann entweder ins Grundwasser oder die Atmosphäre gelangen. Somit stehen die Nährstoffe dem Pflanzenwachstum und Humusaufbau zur Verfügung. Je mehr Humus, desto höher die CO2-Aufnahmefähigkeit des Bodens. Es kommt eben auf die Intensität der Nutzung natürlicher Ressourcen an. Ein Wirtschaften im Einklang mit der Natur, das innerhalb der natürlichen Kreisläufe einen wertvollen Beitrag leistet, ist möglich. Die reine Ausbeutungsperspektive der Wirtschaft ist zu pessimistisch und verführt dazu, keine Verantwortung für die negativen Wirkungen der Nutzung natürlicher Ressourcen zu übernehmen. Doch es ist auch anders möglich. Hier erfahren Sie mehr zu Möglichkeiten der Transformation des  landwirtschaftlichen Sektors.

Klimawandel

Welche Rolle spielt der Transportweg?

Der Transport macht nur 6 Prozent des CO2-Ausstoßes der Landwirtschaft aus. Doch hier kann jede*r etwas verändern: Greift man auf regionale Lebensmittel zurück, sorgt man für kürzere Transportwege, hat frischere Lebensmittel und stärkt nebenbei regionale Wertschöpfungsketten. Kauft man zugleich saisonal ein, stammen die Lebensmittel aus Freiland-Anbau anstelle aus beheizten Gewächshäusern.3

Für 1 kg Gemüse per Luftfracht können fast 90 kg innerhalb Deutschlands transportiert werden

Für 1 kg Gemüse aus Übersee können 11 kg innerhalb Deutschlands transportiert werden

Klimawandel

Was ist der größte Hebel?

Nahezu 70 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen unserer Ernährung sind auf tierische Produkte zurückzuführen. Auf pflanzliche Produkte dagegen nur knapp ein Drittel.

Umso pflanzlicher man seine Ernährung gestaltet, desto klimafreundlicher ist diese auch!

Schon ein fleischloser Tag pro Woche spart 100 kg CO2 im Jahr ein.

Klimaschonende Ernährung kann also so einfach sein – und gesund noch dazu.

Eine Kombination aus biologisch, saisonal und regional angebauten Lebensmitteln mit kurzen Transportwegen, fleischarmer Ernährung und vor allem eine flächengebundene Tierhaltung können Hebel für eine Transformation sein. Mehr dazu finden sie hier.

Herausforderungen

Landwirtschaft und Biodiversität

Das große Sterben

Der Frühling ist eine schöne Jahreszeit. Er wird begleitet von den ersten warmen Tagen, nach Blüten duftender Luft und vom fleißigen Summen und Brummen der Insekten. Doch der Frühling verstummt. Es wird stiller in Deutschland: Rund die Hälfte der 500 Wildbienenarten in Deutschland gilt als vom Aussterben bedroht. Die Insektenbiomasse ist in den letzten 27 Jahren um ganze 70 Prozent geschrumpft. Laut dem neuesten Bericht zur Lage der Natur in Deutschland sind 45 Prozent der Insektenarten in einem sehr schlechten Zustand.1 Die Hauptursache: Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel und die Zerstörung von Lebensraum durch die intensive Landwirtschaft. Der übermäßige Pestizideinsatz führt zu einem massiven Verlust biologischer Vielfalt, da nicht nur „Schädlinge“, sondern auch „Nützlinge“ wie Insekten oder Mikroben im Boden abgetötet werden. Studien deckten auf, dass sich der Fluginsektenbestand in Deutschland um mehr als 75 Prozent gegenüber 1990 verringert hat.2

Landwirtschaft und Biodiversität geht auch gemeinsam

Doch es gibt auch die andere Perspektive auf das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Biodiversität: Auf beweideten Flächen ist die Biodiversität auffallend hoch, das Abgrasen sichert Lebensräume für Vögel und Insekten und die Huftritte regen das Pflanzenwachstum und den Humusaufbau an. Der Schlüssel zum Erfolg? Eine Bewirtschaftung im Einklang mit der Natur, ohne chemisch-synthetische Mittel und mit einem Viehbestand, der naturverträglich ist.

Auch in naturbelassenen Wäldern ist eine hohe Biodiversität zu finden. Wälder sind insbesondere durch die zunehmende Urbanisierung ein wichtiger Rückzugsort für viele Arten.

Biodiversität

Biodiversität oder biologische Vielfalt ist ein Bewertungsmaßstab für die Fülle unterschiedlichen Lebens in einem bestimmten Landschaftsraum oder in einem geographisch begrenzten Gebiet. Der Dreiklang der Biodiversität besteht aus der Vielfalt der Ökosysteme, die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten.

1 BMU (Mai 2020): Bericht zur Lage der Natur, online unter: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/bericht_lage_natur_2020_bf.pdf, abgerufen am 10.06.2021

2 Entomologischer Verein Krefeld e.V. (2017)

Herausforderungen

Bodenfruchtbarkeit

Der drohende Bodenkollaps durch Erosion und Bodenunfruchtbarkeit bedroht weltweit die Ernährungssicherheit und damit die Überlebenschancen des Menschen. 2018 warnte eine Studie der Vereinten Nationen, dass weltweit die Bodenqualität so schlecht ist, dass nur noch 60 Ernten unter der konventionellen Landwirtschaft gefahren werden können. Die Bodenqualität ist schlichtweg zu schlecht, um weiterhin Lebensmittel und Rohstoffe bereitstellen zu können.

Das Problem mit Nitrat

In Deutschland überschreiten 28 Prozent der Grundwassermessstellen die Nitrathöchstwerte. Der Grund hierfür ist die landwirtschaftliche Überdüngung. Landet mehr Stickstoff auf dem Acker, als Boden und Pflanzen aufnehmen können, bildet sich klimaschädliches Lachgas. Außerdem trägt überschüssiger Stickstoff zu Luftverschmutzung und umgewandelt in Nitrat zur Grundwasserverschmutzung bei. Es wird davon ausgegangen, dass nur die Hälfte des aufgebrachten Stickstoffs von Pflanzen oder Böden aufgenommen wird.1 Die im März beschlossene neue Düngeverordnung gegen die stark erhöhte Nitratbelastung des deutschen Grundwassers reicht allenfalls dazu aus, um Strafzahlungen der EU zu vermeiden, nicht jedoch um das Trinkwasser und die Bodenqualität langfristig zu schützen.2

Ein paar Zahlen: Der durchschnittliche Stickstoffüberschuss liegt in Deutschland bei 87 kg pro Hektar pro Jahr. Sehr gut wirtschaftende ökologische Höfe schaffen immerhin den Überschuss auf 30kg pro Hektar pro Jahr zu reduzieren.

Bodenkrise als Symptom einer Systemkrise

Die Boden- und Biodiversitätskrise zeigen, welche Konsequenzen kurzfristige Gewinnmaximierung und der übermäßige Pestizid- und Düngemitteleinsatz in der konventionellen, industriellen Landwirtschaft haben. Eine langfristige Bewirtschaftung mit diesen Methoden ist nicht möglich: Böden versauern und verlieren an Nährstoffen, bestäubende Insekten sterben und das Grundwasser wird durch Nitrat und Pestizide verunreinigt.

Das landwirtschaftliche System ist krank und verschlechtert seinen Zustand durch die verwendeten Methoden zusehends weiter. Schaffen wir den Systemwandel hin zu einer naturverträglichen Landwirtschaft nicht, werden die Landwirt*innen am stärksten von den Folgen des kranken Systems betroffen sein. Um Risiken für Umwelt, Nahrungsmittelsicherheit und Landwirt*innen zu minimieren, müssen negative Folgewirkungen der konventionellen Methoden minimiert werden.

Welche Dimensionen die Folgeschäden der Landwirtschaft in Deutschland haben, zeigte eine Studie der Boston Consulting Group. Sie deckten 2018 auf, dass den 21 Mrd. Euro Bruttowertschöpfung 90 Mrd. Euro Kosten durch Grundwasserverschmutzung, Bodenerosion und Artensterben gegenüberstehen.3

Die Folgekosten werden aber nicht nur auf externe Dritte wie der Gesellschaft abgewälzt, sondern betreffen direkt die natürliche Produktionsgrundlage der Landwirtschaft. Somit arbeitet das System Landwirtschaft höchst ineffizient. Nicht zuletzt diese Rechnung sollte auch jede*r klassischem Wirtschaftswissenschaftler*in übel aufstoßen.

Doch in der Biodiversitäts- und Bodenkrise fehlt es, anders als in der Corona- und Klimakrise, noch an Einsicht und der spürbaren Not zu handeln. Erste Symptome der Systemkrise zeigen sich auch hier durch den drohenden Bodenkollaps und die gefährdete Nahrungsmittelversorgung. Doch statt die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Böden und Klima geschont werden, fließen EU-Subventionen der GAP (Gemeinsame Europäische Agrarpolitik) zum größten Teil weiter in die industrielle konventionelle Landwirtschaft. Damit wird ein krankes System, das unser aller Lebensgrundlage zerstört, künstlich am Laufen gehalten.

Aus Angst vor Veränderung werden Biodiversität, die Zukunft der Landwirtschaft, die Gesundheit des Menschen und die globale Nahrungsmittelsicherheit aufs Spiel gesetzt.

1 bpb (o.J): Düngeeinsatz, online unter: https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/anthropozaen/256762/duengereinsatz. abgerufen am 02.06.2023.
2 BÖLW (2020): Entwurf nicht konsequent am Versursacherprinzip orientiert, online unter: https://www.boelw.de/news/entwurf-nicht-konsequent-am-verursacherprinzip-orientiert/. abgerufen am 12.06.2021

3 Vgl. BCG (2019), S. 17

Herausforderungen

Menschen in der Landwirtschaft

Der Beruf der Landwirte ist eng mit dem privaten Leben der Landwirt*innen verwoben. Den Arbeitsplatz vor der eigenen Haustür und die Verantwortung für Lebewesen – egal ob Pflanze oder Tier - resultiert sehr schnell in einen Rund-um-die-Uhr-Job. Nicht selten betonen Landwirt*innen, man entscheide sich nicht für einen Beruf, sondern für eine Art zu leben.

„Wachsen oder Weichen“

Durchschnittlich muss alle drei Minuten ein landwirtschaftlicher Hof in der EU schließen.1 Nach dem Motto “Wachsen oder Weichen” konzentriert sich immer mehr Fläche auf immer weniger Betriebe, die immer höhere Erträge erwirtschaften müssen. Kleine familiengeführte Höfe halten dem Druck nicht Stand und verschwinden.2

Überhaupt kostendeckend zu wirtschaften gestaltet sich für viele Landwirt*innen als schwierig. Schon seit Jahrzehnten sind sie auf Gelder des EU-Haushaltes angewiesen. So fließt mehr als ein Drittel des EU-Haushaltes in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP).3 Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe (erste Säule) richtet sich in erster Linie nach ihrer flächenmäßigen Größe aus. Auf diese Weise landen 80 Prozent der gesamten Gelder bei lediglich 20 Prozent der Betriebe.4

Die ungeklärte Hofnachfolge stellt ein weiteres Problem für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft dar. Nahezu ein Drittel der heutigen Landwirt*innen befinden sich bereits im Rentenalter und die Zahl der Nachwuchskräfte stagniert.5

Viele Höfe haben mit Verschuldungen durch Investitionen in Wachstum zu kämpfen und wirtschaften am Rande der wirtschaftlichen Existenz – deutlich wird dies zum Beispiel bei Milchviehbetrieben: Das Wachstum der Branche wurde in der Nachkriegszeit jahrelang fernab einer freien Marktwirtschaft politisch angereizt. Die daraus entstandene Überproduktion sollte mithilfe einer Exportstrategie ausgeglichen und die bisherigen Wachstumsanreize durch Instrumente wie der Milchquote umgelenkt werden.6 Die Folge: Landwirt*innen sind mit stark volatilen Preisen konfrontiert. Marktpreise sind nach wie vor zu niedrig und langfristig angelegte Investitionen rechnen sich in vielen Fällen nicht.

Wertschätzung der gesamten Lieferkette

Spätestens jetzt stellt sich die Frage, welchen Wert wir Lebensmitteln beimessen wollen und wie wir diese Wertschätzung innerhalb der Lieferkette verteilen. Eine Landwirtschaft bestehend aus kleinbäuerlichen Betrieben mit einem breiten Produktsortiment wird den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht und ist in der derzeitigen Marktstruktur nicht möglich. So müssen über lokale Initiativen wie der solidarischen Landwirtschaft hinaus richtungsweisende Strukturen geschaffen werden, die eine resiliente Landwirtschaft ermöglichen

1 Topagrar (2018): Alle drei Minuten verschwindet ein Hof in Europa, online unter: https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/alle-drei-minuten-verschwindet-ein-hof-in-europa-9532740.html. abgerufen am 03.05,2021;
Agrarheute (2019): Bauernsterben: Warum immer mehr Landwirte aufgeben, online unter https://www.agrarheute.com/land-leben/bauernsterben-immer-mehr-landwirte-aufgeben-558698. abgerufen am 02.05.2021
2 Heinrich-Böll-Stiftung (2019): Agrar-Atlas 2019: 20, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_agraratlas2019.pdf, abgerufen am 15.04.2021
3 Nabu (o.J.): Wer bekommt wie viel aus dem EU-Agrarhaushalt?, online unter: https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/agrarpolitik/eu-agrarreform/25173.html. abgerufen am 02.06.2021

4 Heinrich-Böll-Stiftung (2019): Agrar-Atlas 2019: 14, online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_agraratlas2019.pdf, abgerufen am 15.04.2021
5 Ebd.: 19
6 WDR (2017): Milchwirtschaft, online unter: https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-milchwirtschaft--100.html. abgerufen am 06.04.2021

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Marktmacht des Einzelhandels

Die Landwirtschaft und der Lebensmittelhandel sind eng miteinander verwoben – direkt oder indirekt über weitere Verarbeitungsstufen und Zwischenhändler*innen. Insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel besitzen die großen Supermärkte und Discounter-Ketten eine hohe Marktmacht. Die fünf größten Marktteilnehmer*innen verkörpern einen Marktanteil von über 75 Prozent.1 Wenn Landwirt*innen ihre Produkte verkaufen wollen, kommen sie an den großen Ketten nur selten vorbei. Die Händler*innen können die Preise der Landwirt*innen stark drücken. In der Beziehung zwischen beiden Parteien fehlt es an Verhandlungen auf Augenhöhe und Preisen, die die Leistung von Landwirt*innen anerkennen.

Wie viel Geld kriegen die Landwirt*innen für ihre Produkte?

Ein Bericht des Thünen-Instituts deckte 2017 auf, dass Landwirt*innen im Schnitt etwa 23,1 Cent von jedem Euro, der im Einzelhandel ausgegeben wird, erhalten. Für Broterzeugnisse erhalten sie gerade einmal 3,8 Cent, für Eier immerhin 58,9 Cent.

Für viele landwirtschaftliche Betriebe ist es eine Herausforderung kostendeckend zu wirtschaften. Das eigene Einkommen erreicht dabei häufig nicht einmal den Mindestlohn.

Doch Landwirt*innen sind nicht nur von den Preiskonditionen abhängig. Die Vertragskonditionen sind meistens so angelegt, dass der Einzelhandel Bestellungen kurzfristig stornieren kann. Damit bleiben die Landwirt*innen immer wieder auf ihren Produkten sitzen.

Die Situation zeigt, dass nicht die alleinige Umstellung auf den ökologischen Landbau ausreichend ist. „Bio“ im Discounter zu ausbeuterischen Preisen anzubieten ist nicht sozialverträglich und kann kein stabiles Versorgungsnetzwerk bilden. Hinzu kommt, dass stabile Preise und Preisgarantien nicht die Lösung sind, sofern weiterhin die Produktionskosten für die Landwirt*innen aufgrund von Nachrüstungen, steigenden Qualitätsforderungen und Dokumentationspflichten steigen. Wie in jedem Beruf muss auch für die Landwirt*innen ein sicherer Lohn gewährleistet werden.

Exkurs: Wegfall der regionalen Verarbeitung

Zunehmende Einseitigkeit wie im Lebensmitteleinzelhandel ist auch in anderen Bereichen der Wertschöpfungskette von Agrarprodukten zu beobachten. Die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse findet kaum noch in regionalen Dimensionen statt und die Anzahl weiterverarbeitender Betriebe schrumpfte seit den 1950er Jahren stark. Beispielsweise bestehen von ehemals 3.500 milchverarbeitenden Betrieben in Deutschland nur noch 155 Betriebe im Jahr 2019. Dies hat keinesfalls mit einer Abnahme der Milchproduktion zu tun, sondern lässt sich durch zahlreiche Fusionen erklären, die aufgrund betrieblicher Effizienz und Anpassungen an den globalen Wettbewerb vorgenommen wurden.2 Diese Entwicklung hat vor allem zwei Auswirkungen: zum einen eine Schwächung regionaler Strukturen und zum anderen eine stärkere Abhängigkeit innerhalb der Wertschöpfungsketten. Für viele Landwirt*innen ist die Auswahl ihrer Abnehmer begrenzt, sodass sie eine schwächere Position in Preisverhandlungen haben.

Übrigens: durch die abnehmende Regionalität legen Agrarprodukte immer weitere Strecken zurück, um zu Endverbraucher*innen zu gelangen. Das zieht wiederum eine verschlechterte CO2-Bilanz nach sich!

1  Deutscher Bauernverband (2020)

2 MIV (o.J.), online unter: https://milchindustrie.de/marktdaten/produktion/. abgerufen am 06.05.2021

Herausforderungen

Bodenspekulation

Ackerboden heiß begehrt!

Landwirtschaftlicher Boden wird von Landwirt*innen bewirtschaftet, sodass darauf Lebensmittel und Rohstoffe für alle produziert werden können. Allerdings ist das Interesse am begrenzten Ackerboden auch bei Investor*innen gestiegen. Außerlandwirtschaftliche Investor*innen sehen den Boden als Spekulationsobjekt und erzielen damit hohe Rendite. Das stellt eine Gefahr für die Landwirtschaft dar, da gerade junge Landwirt*innen sich die hohen Pachten nicht mehr leisten können. Der Bodenpreis hat sich zwischen 2006 und 2019 fast verdreifacht. Als Reaktion wurde mit maßgeblicher Unterstützung der GLS Bank und der GLS Treuhand die BioBoden Genossenschaft gegründet, die sich gegen Bodenspekulation und für einen sozialverträglichen Ausbau der biologisch bewirtschafteten Fläche einsetzt.

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Gesundheit

Landwirtschaft und Natur

Die Landwirtschaft dient hauptsächlich dazu, uns Menschen mit Lebensmitteln zu ernähren. Um diese Lebensmittel in der gewünschten Menge, Qualität und für einen angemessenen Preis herzustellen, werden viele Maßnahmen getroffen: es werden Düngemittel eingesetzt, sodass die Pflanzen besser wachsen können, Pestizide, um Pflanzen von Schädlingen und Beikraut zu verschonen und (Reserve-)Antibiotika in der Tierhaltung, sodass die Tiere nicht krank bzw. wieder leistungsfähig werden. Die eingesetzten Stoffe gelangen aber auch in die Umwelt und werden von anderen Lebewesen aufgenommen. Die verwendeten Mittel haben somit nicht nur Auswirkungen auf die Landwirtschaft selbst, sondern auf die ganze Umwelt, wie zum Beispiel auf uns Menschen.

Macht uns die Tierhaltung krank?

Die Masthühner in einer konventionellen Massentierhaltung erhalten routinemäßig Antibiotika, um von Krankheiten verschont zu bleiben und so besonders leistungsfähig zu sein. Im Tierkörper können sich so multiresistente Keime entwickeln. Die Keime gelangen in die Umwelt und in unsere Nahrung und können beim Konsum des Fleisches schwere Infektionen auslösen, gegen die kaum ein Antibiotikum helfen kann. In einer 2020 durchgeführten Studie von Germanwatch wurden 165 Fleischproben der drei führenden Geflügelkonzerne der EU untersucht. Das Ergebnis ist alarmierend: 51 Prozent der Hähnchen sind mit antibiotikaresistenten Krankheitserregern belastet und 35 Prozent des Hähnchenfleisches weisen Resistenzen gegen Reserveantibiotika auf.2 Reserveantibiotika werden eigentlich eingesetzt, wenn aktuell verwendete Antibiotika bei den betroffenen Menschen nicht mehr wirken. Wenn diese jedoch bereits jetzt in der Tierhaltung verwendet und durch den Fleischkonsum vom Menschen aufgenommen werden, ist es denkbar, dass die Reserveantibiotika beim Menschen im Notfall nicht mehr wirken. Der Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung ist fahrlässig.

Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit!

Auswirkungen aufs Wasser

Stickstoffdünger (N) werden in der Landwirtschaft eingesetzt, um die Pflanzen für ein effizientes Pflanzenwachstum mit ausreichend Nährstoffen zu versorgen. Jedoch nehmen die Pflanzen nicht allen Stickstoff auf, sodass sich der restliche Stickstoff in der Umwelt verteilt. Die in der Landwirtschaft eingesetzten Substanzen, so auch der Stickstoff, gelangen durch Abdrift in Oberflächengewässer und versickern in tiefe Schichten des Bodens und somit auch ins Grundwasser. Aber saubere Oberflächengewässer und Grundwasser stellen für den Menschen eine elementar wichtige Lebensgrundlage dar. Der Großteil des Trinkwassers in Deutschland wird aus dem Grundwasser gewonnen. Im Grundwasser wird jedoch immer mehr Nitrat (NO3) nachgewiesen: 2019 überschritten in Deutschland 15,8 Prozent der Messtellen den Grenzwert für Nitrat im Grundwasser.1

Ackergifte überall?

Aber wo finden sich die landwirtschaftlichen Substanzen wieder und welche Auswirkungen haben sie dort? Das Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München haben 2020 eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob sich die eingesetzten Substanzen aus der konventionellen Landwirtschaft auch in der Luft nachweisen lassen. Das Ergebnis ist erschreckend und alarmierend zugleich: In insgesamt 163 Proben wurden 152 Wirkstoffe nachgewiesen, wobei 138 Stoffe auf eine landwirtschaftliche Quelle zurückzuführen sind. 30 Prozent der nachgewiesenen Wirkstoffe waren zum Messzeitpunkt nicht oder noch nie zugelassen. Eingesetzte Substanzen aus der konventionellen Landwirtschaft lassen sich also auch in der Luft nachweisen. Ein Beispiel dazu ist Glyphosat. Dieses ist weiter verbreitet als alle anderen untersuchten Wirkstoffe. Die Auswirkungen der Stoffe aus der Luft auf uns Menschen sind noch nicht ausreichend erforscht. Aber mit ein bisschen Vorstellungskraft lässt sich ausmalen, dass dieser Zustand für die Gesundheit unserer Umwelt und uns Menschen nicht förderlich ist. Festzuhalten bleibt, dass Pestizide nicht dortbleiben, wo sie ausgebracht werden, sondern sich in der Umwelt ausbreiten.


Übertragung von Antibiotikaresistenzen von Tier zu Mensch

1 Umweltbundesamt und Länderinitiative Kernindikatoren (LIKI) (2020)
2 Studie: Germanwatch: Hähnchenfleisch


Herausforderungen

Lebensmittelverschwendung

Produktion für die Tonne?

Bei allen Gedanken, die wir uns als Gesellschaft um eine klimafreundliche und artgerechte Produktion machen, ist am Ende eines entscheidend: dass die produzierten Lebensmittel dort landen, wo sie hingehören. In den Mägen der Menschen und nicht in den Tanks von Autos oder im Mülleimer.

Wo findet die Verschwendung statt?

In Deutschland werden etwa 12 Mio. Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen. Dies kann direkt auf dem Acker passieren, weil beispielsweise Gemüse nicht den Normen des Einzelhandels entspricht, in der Verarbeitung, im Handel oder beim Endverbrauchenden zu Hause. In Privathaushalten werden in Deutschland rund 75 kg pro Jahr und Person an Lebensmitteln weggeworfen.1 Häufig werden Lebensmittel entsorgt, wenn sie das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten haben. Die meisten Lebensmittel sind jedoch auch noch nach Ablauf des MHDs verzehrbar.

Hierzu gibt es eine anschauliche Studie von Greenpeace, wie lange die Lebensmittel noch genießbar sind:

https://utopia.de/greenpeace-test-mindesthaltbarkeitsdatum-118836/

Damit Lebensmittel im Supermarkt angeboten werden können, müssen sie einige Standards einhalten. Standards, die der Gesundheit des Menschen dienen sind sinnvoll und richtig.

Qualitätsstandards, die vom Lebensmitteleinzelhandel definiert werden und für eine optische Einheitlichkeit im Supermarktregal sorgen, sollten jedoch kritisch hinterfragt werden: Gurken, Kartoffeln und Blumenkohl werden häufig in einer einheitlichen Größe verkauft und das Blattgrün von Möhren und Kohlrabi muss makellos vorhanden sein, da es vermeintlich Frische symbolisiert. Dabei wird es häufig unmittelbar nach dem Kauf zu Hause entsorgt.

Dies führt einerseits dazu, dass Gemüse, welches diese Bedingungen und Standards nicht erfüllt, vorher entsorgt wird. Andererseits führt es aber auch dazu, dass die Landwirt*innen mehr Pestizide, auch unmittelbar vor der Ernte, einsetzen, um diese hohen Standards einzuhalten.2

1 Thünen Studie (2015)
2 Umwelt- und klimarelevante Qualitätsstandards im Lebensmitteleinzelhandel, UBA

Herausforderungen

Ausbau ökologischer landwirtschaftlicher Bildung

Wenn wir uns mehr ökologische Landwirtschaft wünschen, muss es auch die Menschen geben, die auf den ökologisch bewirtschafteten Höfen arbeiten. Die bestehende klassische landwirtschaftliche Ausbildung in Deutschland beinhaltet kaum die speziellen Aspekte des Ökolandbaus.

Ein Beispiel: Obwohl in Niedersachsen 54 Prozent der Fläche landwirtschaftlich genutzt wird, gibt es im Bundesland keine Professur für Biolandwirtschaft.

Wir benötigen für die Zukunft jedoch Menschen, die gerade im Ökolandbau ausgebildet sind, um die bestehenden und kommenden Herausforderungen zu meistern.

Glücklicherweise haben sich schon Menschen zusammengeschlossen, um Menschen fundiert im Ökolandbau auszubilden: Das Netzwerk biodynamische Ausbildung bietet deutschlandweit eine biodynamische Ausbildung an. Die Solidarische Landwirtschaft bietet eine Ausbildung im Gemüsebau an. Beide Ausbildungen sind zum aktuellen Stand staatlich jedoch nicht anerkannt.

Herausforderungen

Versteckte Kosten in der Landwirtschaft

Die Herausforderungen der aktuellen Preise

Die derzeitige Produktion von Lebensmitteln ist global für 26 Prozent der anthropogenen, also von Menschen verursachten, Treibhausgase, 32 Prozent der Bodenversauerung und 78 Prozent der Eutrophierung verantwortlich.1 Die Aktivität der lebensmittelproduzierenden Landwirtschaft hat dabei den größten negativen Einfluss auf die Umwelt.2 Die UN Food and Agriculture Organisation (FAO) schätzt die versteckten ökologischen Kosten konventioneller Lebensmittelproduktion auf jährliche 2,1 Billionen US-Dollar und versteckte soziale Kosten auf jährliche 2,7 Billionen USD.3 In Deutschland stehen den 21 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft 90 Milliarden Euro an externen Kosten gegenüber. Die Kosten sind demnach viermal so hoch wie der Nutzen.4

Eutrophierung

Eutrophierung bedeutet, dass die Ökologie von Gewässern durch einen starken Nährstoffüberschuss beeinträchtigt wird. Dieser Nährstoffüberschuss führt zu vermehrtem Algenwachstum und einer abnehmenden Biodiversität des Gewässers. Verursacht wird dies durch die in der Landwirtschaft ausgebrachten Stoffe Phosphat und Stickstoff.

Die Folgen sind neben negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auch eine starke Preisverzerrung: Produkte, die hohe Umweltauswirkungen haben sind deutlich günstiger als solche, die umweltfreundlich hergestellt wurden. Käufer*innen haben somit einen Anreiz schädliche Produkte zu kaufen und diese Form des Wirtschaftens zu unterstützen.

Erfahren Sie hier mehr zu aktuellen Zahlen, Lösungsvorschlägen und ersten Pilotstudien zu wahren Kosten in der Landwirtschaft.

1 Schweisfurth-Stiftung (2018): How much is the dish
2 Poore und Nemecek (2018)

3 Soil & More (2017)
4 BCG (2019): Die Zukunft der Landwirtschaft

Herausforderungen

Landwirt*innen protestieren

Der Protest der Landwirt*innen

Da Discounter die Preise der landwirtschaftlichen Produkte immer weiter nach unten drücken, gehen Landwirt*innen immer wieder auf die Straße. Sie erheben ihre Stimme gegen die Ausbeutung von Menschen, Tieren und Natur: Zuletzt versammelten sich über 27.000 Menschen auf der „Wir haben es satt!“ Demo in Berlin und forderten von der Bundesregierung eine gerechte und nachhaltige Landwirtschaft.

Zuletzt ergab eine Studie des Thünen Instituts (2018), dass Landwirt*innen im Schnitt nur 20,80 Cent von jedem Euro, der an der Kasse bezahlt wird, erhalten. Die Gier nach immensen Margen des Einzelhandels zwingen immer mehr Landwirt*innen in die Knie. Gleichzeitig kommt es immer wieder zu einer öffentlichen Beschimpfung von Landwirt*innen. Den Landwirt*innen wird vorgeworfen, dass sie durch den Einsatz von Pestiziden das Artensterben befeuern und durch den hohen Düngemitteleinsatz die Nitratwerte im Grundwasser steigen. Die Kritik ist zwar berechtigt, doch abhängig von der Größe und Art des Betriebs. Zudem begünstigt die aktuelle Landwirtschaftspolitik ein solches Vorgehen.

Ohne unsere Bäuer*innen geht es nicht

Ohne die landwirtschaftlichen Produkte und Leistungen funktioniert nichts: Nicht die Bio-Kantine im Erdgeschoss der GLS Bank, nicht das Lieblingsrestaurant um die Ecke, nicht der tägliche Lebensmittelbedarf und nicht die Pflege von Kulturlandschaften. Ohne die Landwirtschaft würden wir schlichtweg verhungern. Ob Viehzucht, Garten- und Ackerbau, Fischerei oder Forstwirtschaft: Ihre Leistungen bilden die Grundlage für andere Wirtschaftssektoren und alle Lebensbereiche.

Und nicht erst seit der COVID-19 Pandemie sollte klar sein, wie wertvoll unabhängige und regionale Wertschöpfungsketten und eine stabile Lebensmittelversorgung sind.

Es ist Zeit für Aufklärung!

Wir müssen trotz berechtigter Kritik an der konventionellen Landwirtschaft genauer hinsehen und undifferenzierte Schuldzuweisungen für Umweltschäden ausräumen.

Was sind die Gründe für die mit der Landwirtschaft verbundenen Umweltprobleme? Wieso gibt es noch Betriebe, bei denen Tierwohl keine Rolle zu spielen scheint?

Die Antworten sind sicherlich vielschichtig und wie immer liegt der Teufel im Detail – und doch ist ein sehr bedeutender Aspekt offensichtlich: Ein Problem ist, dass die Preise für unsere Lebensmittel nicht die wahren Kosten widerspiegeln, die mit ihrer Produktion und Verarbeitung verbunden sind. Trinkwasserverschmutzung, Bodenerosion und Pestizidverunreinigungen verursachen nur einige Folgekosten, die nicht im Preis enthalten sind. Am Ende zahlt jede*r die erhöhte Wasserabrechnung, weil die Wasserbetriebe das Trinkwasser aufwändiger reinigen müssen.

Dies alles ist auch möglich, weil die entsprechende Gesetzgebung fehlt, die verhindern könnte, dass es überhaupt so weit kommt. Stattdessen dominiert in Europa eine Agrarpolitik, die seit Jahrzehnten auf Masse und kurzfristige Erträge setzt. Wenn wir unsere Landwirtschaft nicht umdenken, werden künftige Generationen nur noch mit Schwierigkeiten Lebensmittel anbauen können und – wenn überhaupt - Ernten in weit geringerem Umfang einfahren. Die Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln wird nicht mehr sichergestellt sein. Grund dafür ist der Klimawandel mit zunehmenden Extremwetterereignissen und die Verschiebung der Klimazonen, das Ansteigen des Meeresspiegels (Flächenverlust und Versalzung von Süßwasser) und die Erosion der Böden, der Humusverlust und die Abnahme der Biodiversität.

Was wir brauchen sind politische Rahmenbedingungen, die diese Folgekosten einpreisen. Nur so kann das verzerrte Preisverhältnis zwischen „bio“ und „konventionell“ wieder zurechtgerückt werden. Nur wenn Preise die wahren ökologischen und sozialen Kosten widerspiegeln, können Konsument*innen verantwortungsvolle Entscheidungen an der Ladentheke treffen: Weil der Preis dann endlich ein Signal in die richtige Richtung sendet.

Der Wandel geht nur zusammen

Die Situation ist verfahren: Es wird nach Umweltschutz, Tierwohl und Qualität verlangt. Auf der anderen Seite sollen Lebensmittel möglichst billig sein. Auch wenn bei deren Produktion durch den stetigen Preisdruck kaum Zeit, Raum und Geld für Tierwohl und Umweltschutz bleibt.

Wenn wir einerseits einen ökologischen Wandel der Landwirtschaft fordern, müssen wir auch bereit sein, einen angemessenen Preis zu zahlen. Die Preisspirale darf sich nicht immer weiter nach unten drehen, Landwirt*innen brauchen faire Preise. Bio muss günstiger, konventionelle Produkte müssen teurer werden – das Preisverhältnis muss sich also umdrehen, wenn wir unser Klimaziel umsetzen wollen.

Die Politik kann die Rahmenbedingungen dafür setzen, mit einer Agrarpolitik, die Öko subventioniert und konventionell besteuert und nicht umgekehrt. Gleichzeitig brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit alle Menschen in Deutschland sich gute und faire Lebensmittel auch leisten können.